Nachdem das Gutachten der Diözese München zum Kindesmissbrauch vorgestellt worden war, sprachen mich immer wieder Leute aus der Gemeinde darauf an. „Haben Sie mir schon ein Kirchenaustrittsformular mitgebracht?“ „Ich schäme mich katholisch zu sein.“ „Was wir unten auf der Gemeindeebene aufbauen, das reißen uns die Oberen wieder ein.“, hieß es da unter anderem. Dabei betrifft der Skandal vor allem jenes Amt in der Kirche, dem jeder Kleriker bei der Weihe „Ehrerbietung und Gehorsam“ versprechen muss und das für sich in Anspruch nimmt, moralische Wegweisung zu geben. Da muss viel passieren, dass kirchliche Kritik an der Gesellschaft wieder glaubwürdig wird. Wer andere moralisch kritisiert, aber wegschaut, wenn in den eigenen Reihen Kinder missbraucht werden, hat jede Glaubwürdigkeit verloren.
Allerdings gehört auch zu der Wahrheit, dass die Kirche sich in den letzten 12 Jahren, so lang dauert der Skandal schon, nachhaltig verändert hat. Ein Wegschauen wie vor der Krise gibt es m.E. nicht mehr. Jeder Hauptamtliche in der Kirche muss alle 5 Jahre ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen, damit eventuelle Vorfälle für die Diözesanleitung ersichtlich werden. Es gab zahlreiche Schulungen, und Schutzkonzepte wurden erarbeitet, die eine frühzeitige Erkennung von Missbrauch in der Kirche verhindern sollen. Und er ist ein Thema, über das in unterschiedlichen Konferenzen gesprochen wird. Ich erlebte diese Auseinandersetzungen als ernsthaft und intensiv. Nicht zuletzt wurde durch konsequentes Handeln seitens der Diözesanleitung klar, dass Missbrauchstäter ihre Arbeit verlieren. Insofern kann die Situation des Kindeswohls in der Kirche heute nicht mit der vor 30 Jahren verglichen werden. Was zur Prävention möglich ist, wird m.E. getan, wenngleich dies natürlich kein 100%iger Schutz ist. Aber Täter, so sie entdeckt werden, haben institutionell keine Chance mehr davonzukommen.
Wer also sagt, als wäre bei der Kirche alles beim Alten geblieben, hat sich nicht die Mühe gemacht sich in rechter Weise zu informieren. Was bleibt ist, dass die alten Geschichten aufgearbeitet werden müssen, die Traumata der Geschädigten, auch wenn es weh tut, gehört, verstanden und anerkannt werden müssen, und dass Verantwortung übernommen werden muss. Hier aber gibt es noch Defizite.
Eine alte Lehre in der Bußkatechese ist, dass Schuld erkannt, benannt und bereut werden muss und man den ernsthaften Willen haben muss, den entstandenen Schaden wieder gut zu machen. Wenn dies geschehen ist, dann sei der Weg frei für die Vergebung. Es scheint, dass diese Reihenfolge auch in der Frage des Missbrauchs in der Kirche nicht abgekürzt werden kann, auch wenn wir es uns alle wünschen, dass es jetzt endlich wieder gut sein soll.
Das meint Ihr
Wolfgang Sedlmeier