Lob der Freundschaft
Gerne möchte ich heute zu diesem 6. Sonntag der Osterzeit das „Lob der Freundschaft“ anstimmen. Denn Freundschaft ist in unserer heutigen Zeit ein genauso inflationär gebrauchtes Wort wie Liebe. Dadurch geht der hohe Wert und die Kostbarkeit, die eine Freundschaft bedeuten, verloren. In unserem Zeitalter von facebook hat das Wort „Freundschaft“ sowieso fast nur noch virtuelle Bedeutung. In diesem technischen Netzwerk kann ich durch einen einzigen Klick 500 „Freunde“ bekommen, aber keinen einzigen Freund, keine einzige Freundin.
„Ich nenne euch nicht mehr Knechte … vielmehr habe ich euch Freunde genannt.“ Dieses Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium (Joh 15, 9-17) ist ein Angebot an uns, die Freundschaft mit Jesus zu pflegen. Eigentlich sind wir schon seit unserer Taufe in die Freundschaft mit ihm hineingenommen. Wir können das ganze Johannesevangelium als Einladung zur Freundschaft mit Jesus lesen. Jesus lädt uns ein, seine Freunde und Freundinnen zu sein und zu bleiben. Es ist eine Einladung, immer wieder die vertraute Nähe zu ihm zu suchen. Denn er sucht uns seinerseits und kommt auf uns zu – seit der Taufe, ein ganzes Leben lang.
Die Freundschaft Jesu zu seinen Jüngern zeigt sich darin, dass er vor ihnen keine Geheimnisse hat. Er sagt ihnen alles über seine innige Beziehung zu seinem Vater. Als wahrer Freund teilt er mit seinen Freunden alles: gerade das, was ihm am wichtigsten ist. Dieses Gespräch ist sehr intim. Jesus möchte, dass seine Jünger teilhaben an seiner Liebe zum Vater. Das Kostbarste, was Jesus hat – sein Verhältnis zum Vater – schenkt er auch seinen Freunden. Gott und Mensch begegnen sich als Freunde auf Augenhöhe. Und er fordert uns auf: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“
Was macht echte Freundschaft für uns aus? Welche Empfindungen und Gefühle, vor allem aber welche Menschen kommen mir dabei in den Sinn? Mir fällt ganz spontan ein: Freundschaft ist die uneigennützigste aller menschlichen Beziehungen. Freunde vertrauen sich blind. Freundschaft ist Geschenk, man kann sie nicht „machen“, aber man muss sie pflegen. Freundschaften sind nie fertig, sie brauchen Pflege, damit sie lebendig bleiben und tiefer werden können. Freundschaft kann immer wieder neu aufblühen. Sie ist ihrem Wesen nach Ergänzung, sie beruht auf Zweiseitigkeit. Bei Hans Jürgen Schultz finde ich den wunderbaren Gedanken: „Freundschaft ist geteilte Sehnsucht“. Sie verläuft nicht von oben nach unten. Ihr gelingt die Überwindung von Herrschaft.
Die Erfahrungen, die wir miteinander machen und miteinander teilen, geben der Freundschaft Halt. Freundschaft gewinnt Tiefe, wenn wir uns Zeit nehmen, für unseren Freund, für unsere Freundin da zu sein, mit einem guten Rat, einem aufmunternden Wort, einem freundlichen liebenden Blick, einem mitfühlenden Gespräch, einer wohltuenden Geste, einer helfenden Hand. Und wir wissen gerade in dieser Zeit, in der vieles nicht möglich ist, wie wichtig diese Zuwendung mit Freunden ist.
So kann wachsen, was – wie der heilige Augustinus sagt – Ausdruck wahrer Liebe ist: Dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen. Das heißt, Freundschaft zeigt sich in einer Übereinstimmung: So wie der Freund denkt, denke ich; so wie er handelt, handle ich. Freunde werden einander immer ähnlicher.
Könnte uns dabei ein schöneres Vor-Bild in den Blick kommen als Jesus selbst in der Beziehung zu seinem Vater und zu seinen Jüngern: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was der Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“
Pfarrer Shiju Mathew
Bild: Pfarrbriefservice