Der Erzählkünstler Ferdinand von Schirach wurde gefragt, warum er so spät mit der Schriftstellerei angefangen habe. Das hat mit seinem Vater, einem Strahlemann, zu tun. Er ist „seinem Wesen nach Künstler gewesen, aber eben ein Künstler ohne Werk. So etwas gibt es gar nicht so selten, und oft endet es tragisch“. Der Vater hatte sich nach der Scheidung von seiner Frau zu Tode getrunken. Der junge Ferdinand entschloss sich, mit dem Schreiben aufzuhören. Er wollte nicht werden, was sein Vater war. „Es war also meine Angst vor dem Scheitern. Vor dem Ungeordneten, dem Verfall, der Haltlosigkeit“. Er entschied sich für einen bürgerlichen Beruf und wurde Strafverteidiger.
Die Leichtigkeit des Seins war zu keiner Zeit unbeschwert. Lebenskünstler müssten wir sein, dann wäre alles halb so schlimm. Die Lebenskunst wird uns von unzähligen, mehr oder weniger klugen Ratgebern schmackhaft gemacht.
In der Fastenzeit werden wir zum Maßhalten aufgefordert. Die Selbsthygiene ist nicht nur biblisch gut begründet. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir es nicht schaffen, ein Leben lang durchzuhalten. Alte Muster lauern uns auf und schließlich wollen wir entscheiden, wann es Zeit ist, unser Leben zu ändern. „Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein“, das können nicht mal Politiker. So muss es das Sowohl-als-auch richten und damit liegen wir in der Regel nicht falsch, wenn wir die Sache gründlich prüfen, bevor uns der X-Faktor einen Bären aufbindet. Meist führt das Unerwartete zu einer Zäsur in unserem Leben. Eine belastende Diagnose, der Tod eines nahestehenden Menschen, der Verlust der Arbeit, eine Scheidung. Auf der anderen Seite ist eine neue Liebe wie ein neues Leben.
In gefühlt dumpfer werdenden Zeiten sind wir hoffentlich auf der Hut, nicht abzustumpfen.
Setzt der Glaube an einen Gott der Angst vor dem Absturz etwas entgegen? Als Jesus nach dem Untertauchen im Jordan den offenen Himmel sieht, richtet ihn die Zusage auf: „Du bist mein geliebtes Kind. An dir habe ich Wohlgefallen“. Wunschdenken, eine Welt in der alles Leben geliebt wird? Vorerst bleiben wir im Warteraum der Ewigkeit. Mit Wolf Biermanns „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ dürfen wir zuversichtlich die Kunst des Lebens angehen. So werden wir nicht zum kleinen Beispiel, von dem Erich Fried erzählt:
Auch ungelebtes Leben geht zu Ende
zwar vielleicht langsamer wie eine Batterie
in einer Taschenlampe
Aber das hilft nicht viel:
Wenn man (sagen wir einmal)
diese Taschenlampe
nach so- und so vielen Jahren anknipsen will
kommt kein Atemzug Licht mehr heraus
und wenn du sie aufmachst
findest du nur seine Knochen
und falls du Pech hast auch diese schon ganz zerfressen
Da hättest du genau so gut
leuchten können.
Text/Bild: Wolfgang Fimpel