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Warten auf den guten Geist

„Der ist von allen guten Geistern verlassen.“ Das sagen wir von einem Mensch, der nicht mehr ein noch aus weiß, der hin und her gerissen ist und in Gefahr sich abzukapseln oder zu resignieren.
Angesichts der vielen Krisen, die wir insbesondere als Christen und als Kirche erleben, warten wir alle auf einen guten Geist, der uns einen Ausweg aus mancher Sackgasse zeigt. Auch die Jünger und Jüngerinnen Jesu sind in wartender Haltung und erleben eine Situation, die schwierig auszuhalten ist. Zuerst das Leiden und Sterben Jesu, also der Verlust ihres bisherigen Lebensmittelpunkts, dann die Erscheinungen des Auferstandenen und die aufkeimende Hoffnung auf ein neues Unterwegssein mit Jesus, und dann der Verlust durch seine Himmelfahrt. Nun ist es also an ihnen den Auftrag Jesu weiterzuführen und Gott in dieser Welt sichtbar zu machen. Wer wird jetzt die Botschaft Jesu in die Welt tragen? Wie wird es mit dem gemeinsamen Brotbrechen und Mahlhalten weitergehen? Jesus ist nicht mehr da.
Es bleibt das Gefühl der Verlassenheit, auch der Gottverlassenheit. In dieser Situation können wir andere Menschen für den Glauben wenig begeistern und motivieren, und wir strahlen wenig aus von der Hoffnung, die uns bewegt. Wie sollen wir für die Sache Jesus einstehen, wenn wir uns von ihm verlassen fühlen?
Das Evangelium dieses Sonntags (Joh 17, 6a.11b-19) ist ein Gebet Jesu im Stil einer Abschiedsrede, in der der Evangelist Johannes bereits das Leben ohne den sichtbaren Jesus anspricht. Ein Motiv ist die Rede vom »Einssein« (Joh 17,11), denn gerade in Krisensituationen ist es wichtig zusammenzuhalten und gemeinsam stark zu sein, so dass auch die Schwächsten durch diese Krise kommen können. In diesen Zeiten hilft es, wenn wir von positiven Erlebnissen zehren können, die uns Hoffnung machen auf das Kommende und uns Kraft geben. Gerade in den Situationen, in denen wir uns von Gott verlassen fühlen, ist er uns vermutlich näher als wir glauben. Es lohnt sich vielleicht auch etwas Neues auszuprobieren, um Gott neu erfahren zu können: das meditierende wiederholte Lesen („Durchkauen“) eines Bibeltextes, meiner Klage und meiner Hoffnung eine Sprache und Form geben im Rezitieren eines Psalms, ein seelsorgliches Gespräch, eine Auszeit in der Stille ohne Ablenkung durch Handy und Co. oder das Beten der neunteiligen Pfingst-novene*… Dann kann Gott sich mir neu zeigen, und ich kann im Erleben des Neuen offen werden für die Begegnung mit Gott. Dies mit anderen bald wieder zusammen in Gottesdiensten, Gebets- und Bibelgruppen zu erleben, kann bestärkend sein und zeigt uns, dass wir mit unseren Zweifeln nicht alleine sind.

Jesus spricht im Evangelium davon, dass die Jünger »nicht von der Welt« seien. Was bedeutet das und was bedeutet das für uns heute? Nicht von dieser Welt zu sein bedeutet nicht, dass wir naiv sind und den Blick für die Realität verloren haben. Es bedeutet, dass wir mit unserer Haltung und unserem Handeln auf eine Wirklichkeit verweisen, die größer ist als wir selber. Wenn Papst Franziskus z.B. mit zugespitzten Mahnungen, Anklagen und Ermutigungen gegen den Strom schwimmt, ist er ein Jünger, der „nicht von der Welt“ ist und gleichzeitig Gott durchscheinen lässt in unseren Alltag. In einer Welt, in der Gott nicht mehr so leicht erfahrbar ist und für viele auch bedeutungslos geworden ist, braucht es auch uns als Zeuginnen und Zeugen des guten Geistes. Wir brauchen Zeugnisse des Geistes Jesu, nicht belehrend und überstülpend, sondern überzeugend in kleinen Zeichen der Menschenfreundlichkeit, der Freude und des Friedens.

*die Pfingstnovene von Renovabis kann auf den Schriftenständen mitgenommen werden.

Diakon Michael Junge

Bild: Pfarrbriefservice